Differenzierung zwischen Intimität und Individualität ist die Grundvoraussetzung für eine gesunde Beziehung. Um das zu lernen, müssen wir zunächst einmal verstehen, was Intimität (nicht) ist.
Vincent fühlt sich mit Isa im siebten Himmel. Sie verbringen so viel Zeit miteinander, wie es nur geht, und zwar seitdem der Funke das erste Mal übergesprungen ist. Er kann nicht genug von ihr bekommen und beginnt, sich nach ihr zu sehnen, sobald sie weg ist.
Seine Gedanken kreisen dann nur um ihr nächstes Date, er muss sich teilweise zusammenreißen, ihr nicht direkt eine Nachricht zu schicken, sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hat. Doch als er sie gestern verabschiedet hat, hat sich etwas anders angefühlt. Er sagte ihr noch „ich habe noch nie eine so tiefe Intimität mit jemanden gespürt“, was sie irgendwie irritiert hat. Isa hat etwas nervös gelacht und ist dann schnell gegangen, ohne ihm einen Kuss zu geben. Seitdem meldet sie sich nicht mehr und Vincent grübelt. Hat er etwas falsch gemacht?
Intimität und ein ängstlicher Bindungsstil sind nicht dasselbe
Als sich Vincent an seine Freunde Nico und Mark wendet und um Rat fragt, hat Mark eine Idee: „Das könnte vielleicht mit deinem Bindungsstil zu tun haben“. Mark und Nico haben im letzten halben Jahr ein Paarcoaching gemacht und dabei eine Menge darüber herausgefunden, wie ihre Bindungsstile ihre Kommunikation beeinflussen.
Und tatsächlich hat Mark Recht: Vincent hat einen ängstlichen Bindungsstil, was unter anderem dazu führt, dass er in Beziehungen klammert. Und das fühlt sich für ihn wie Intimität an. Schließlich kann er ja von Isa nicht genug bekommen! So ist das ja auch immer in den romantischen Filmen, denkt er.
Doch Intimität bedeutet nicht, dass man vom anderen besessen ist wie Ross von Rachel in den ersten Staffeln von Friends. Intimität in einer Partnerschaft bedeutet, die Individualität des Partners oder der Partnerin zu respektieren und auch Spannungen aushalten zu können.
Wenn Menschen sich lieben, heißt das nicht, dass alles im Einklang sein muss! David Schnarch schreibt in „Die Psychologie sexueller Leidenschaft“, dass diese Verwechslung von Intimität und (zu) enger Bindung die Grundlage der meisten Beziehungsprobleme sei. Nur Paare, die sich gegenseitig auch konstruktiv kritisieren können, können gemeinsam wachsen. Denn gerade, wenn es Uneinigkeiten gibt, deutet das daraufhin, dass Individuen aufeinandergetroffen sind, jede:r mit einer eigenen Meinung und eigenen Ansichten über die Welt.
Auch beim Sex kann man Unstimmigkeiten überwinden
Gerade wenn es um das Thema Sexualität geht, denken viele Paare, dass es von Anfang an funktionieren müsse. Und wenn nicht? Dann ist das eben so.
Falsch gedacht! Auch wenn es um Sex geht, heißt es: Miteinander reden, die gegenseitigen Vorlieben kennen lernen, gemeinsam herausfinden, was gefällt und was nicht. Denn, um es mit David Schnarch zu sagen: „Auch wenn wir noch so verliebt, treu und anhänglich sind, bleiben wir doch alle eigene Individuen.“ Und nur in der Unterscheidung zwischen Individualität und Intimität kann es gelingen, eine gesunde Beziehung zu führen – in der Psychologie spricht man hier von Differenzierung.
Differenzierung: Die Kunst, gesund zu lieben
Was heißt das nun für Vincent? Als erstes würde es ihm helfen, sich näher mit seinem Bindungsstil auseinanderzusetzen und zu versuchen, ihn zu einem sicheren Bindungsstil zu ändern. Das kann harte Arbeit bedeuten und ist nicht über Nacht gemacht – auch ein professionelles Coaching bei Dearest könnte ihm helfen, an sich selbst zu arbeiten.
Und vor allem ausführliche und ehrliche Gespräche mit Isa über seine Wünsche und Erwartungen sind ein wichtiger Schritt, um die Beziehung der beiden auf eine neue, fortgeschrittene und gesunde Stufe zu heben und dabei zu differenzieren: Zwischen Intimität, Ängstlicher Bindung und Individualität.
Wenn es an Differenzierung mangelt, kann es übrigens auch in die andere Richtung gehen. Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil reagieren auf Intimität mit Rückzug. Gerade in Verbindung mit Menschen vom ängstlich-ambivalenten Bindungsstil kann das zu einer ungünstigen Mischung führen.
Intimität: So kann es funktionieren
Der Schlüssel zu einer gesunden Beziehung ist also neben einer gesunden Kommunikation und einem sicheren Bindungsstil ein hoher Differenzierungsgrad. Nur dieser erlaubt es uns, unseren Partner oder unsere Partnerin so zu lieben, wie er oder sie ist. Denn dann nehmen wir unser Gegenüber als vollständige, individuelle Person wahr und akzeptieren dessen Eigenheiten, Wünsche und Ansichten. Im selben Moment bekommen wir die Möglichkeit, uns selbst zu entfalten. Und zwar so wie wir sind und nicht wie wir denken, dass wir sein sollen.
Du weißt, dass du in Beziehungen klammerst, aber kannst es einfach nicht abstellen? Du würdest gerne lernen, wie man differenziert, aber weißt nicht wie? Buche noch heute eine Session mit einer oder einem unserer Coaches in unserer App!